Eine vielseitige Presselandschaft ist in einer Demokratie unerlässlich. Unsere Redakteurin Sophie hat sich die Wichtigkeit von Pressevielfalt genauer angeschaut.

3. Mai 2021
Das Ökosystem der Medienlandschaft in Deutschland ist intakt. Trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf.
Die Tatsache, dass wir Menschen in Deutschland das Recht haben, uns über die Plattformen unserer Wahl zu informieren, geht allein auf das Grundrecht der Pressefreiheit zurück. Es erlaubt uns selbst, fast alles zu publizieren, unsere Meinung kundzutun und im Umkehrschluss auch alle Medien zu konsumieren. Der Journalismus sollte dabei verschiedene Kriterien erfüllen, um den Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich aus den Publikationen eine eigene Meinung zu bilden. Nur so kann die sogenannte vierte Gewalt ihre Macht auch konstruktiv nutzen und gesellschaftliche Debatten anregen. Debatten gehören zur Demokratie und auch wenn sie lang und anstrengend sind, führen sie zur Lösung bestehender Probleme, die es dann von der Exekutive umzusetzen gilt. Doch wie sieht eine Debatte aus, wenn es nur ein Medium gibt, nur ein Staatsfernsehn und nur einen Volksempfänger? Kann sie überhaupt existieren?
Die Abwesenheit von Medienpluralismus, man könnte es „Mediensingularismus“ nennen, führt dazu, dass Probleme mit mehreren möglichen Lösungen gar nicht mehr zu Debatte stehen können. Die Gesellschaft und ihre Meinungen werden aus der Demokratie ausgeschlossen. Das kann man dann aber nicht mehr als „Herrschaft des Volkes“ bezeichnen, der Widerspruch ist zu groß.
Bernd Holznagel und Jan Kalbhenn vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht haben im Zuge eines Monitorings zum Thema Medienpluralismus im digitalen Zeitalter den Medien-Pluralismus-Monitor (MPM) auf Deutschland angewandt. Der MPM ist ein wissenschaftlicher Ansatz, die „Gesundheit des Medien-Ökosystems“ in der Europäischen Union, Albanien und in der Türkei ganzheitlich zu prüfen und Bedrohungen für den Medienpluralismus und die Medienfreiheit darzustellen. Der Monitor stammt vom 2012 gegründeten Zentrums für Medienpluralismus und Medienfreiheit (CMPF), welches dem Europäischen Hochschulinstitut und dem „Robert Schuman Centre for Advanced Studies“ angehört. Das CMPF wird von der EU mitfinanziert.  Im Monitor werden die vier wichtigsten Aspekte, welche die Medienfreiheit und den Medienpluralismus beeinflussen, betrachtet. Dazu zählen „grundlegender Schutz“, die „Marktvielfalt“, die „politische Unabhängigkeit“ und die „gesellschaftliche Inklusion“. In Prozentsätzen wird jeweils angegeben, wie groß die Gefahr für den jeweiligen Aspekt sowie insgesamt in einem Land ist, dabei besteht von 0%-33% ein geringes Risiko, von 34%-66% ein mittleres Risiko und von 67%-100% ein hohes Risiko (Center for Media Pluralism and Media Freedom)
Insgesamt ist das Ökosystem der Deutschen Medienlandschaft in Takt. In fast allen Bereichen des MPM besteht nur ein niedriges Risiko. Die Außnahme bildet dabei die Marktvielfalt und die gesellschaftliche Inklusion, dort ist das Risiko mittelhoch. Doch bei Letzterem zeigt sich eine positive Entwicklung. Vor allem der Zugang von Minderheiten zu Medien hat sich verbessert. Ähnliche, wenn auch nicht so starke Veränderung lässt sich beim Zugang zu Medien von Menschen mit Behinderung beobachten. Insgesamt sank das Risiko, dass das Ökosystem der Medienlandschaft durch mangelnde gesellschaftliche Inklusion in Schieflage gerät von 38% auf 35%. Die Gefahr durch nicht-ausreichende politische Unabhängigkeit der Medien steigerte sich im Jahr 2017 auf 18%, allerdings ist die Zahl im Beobachtungszeitraum 2018-2019 wieder gesunken. Genauso verhält es sich bei der Gefahr durch fehlenden grundlegenden Schutz von Journalist:innen und Medienschaffenden. Der dazugehörige Wert stieg von 13% 2016, auf 22% im Jahr 2017 und sank dann wieder auf 14% im Zeitraum 2018 bis 2019.
Doch die Gewalt gegen Medienschaffende stieg im Pandemiejahr 2020 drastisch an.
Nach Kenntinissen der Bundesregierung gab es von Beginn des Jahres bis zum 23. Dezember 2020 insgesamt 252 gewaltsame Übergriffe auf Medienschaffende in Deutschland, 144 davon waren politisch rechts motiviert, 42 links. Berichten der SZ zufolge, zählte man 2019 “nur” 104. Der Deutsche Journalistenverband bestätigte der SZ, dass es 2020 auch häufig Übergriffe auf die sogannante “Lügenpresse” bei Demonstrationen der seit ein paar Tagen vom Verfassungsschutz beobachteten “Querdenken”-Bewegung gegeben hat, die eine Weltverschwörung wittern und die Coronamaßnahmen für überflüssig halten.
Man sollte erwarten können, dass die von der Berichterstattung geprägten Debatten rund um das Coronavirus eine Wissenschaftliche ist. Demzufolge sollte auch der Wissenschaftsjournalismus gut aufgestellt sein, um über Fakten aus der Medizin und Epidemiologie konstruktiv Auskunft zu geben. Dem B5 Podcast “Das MedienMagazin“erläutert Alina Schadtwinkel, die Online-Redaktionsleiterin des Wissenschaftsmagazins “Spektrum”, dass im Laufe des Beginns der Pandemie immer häufiger Methoden des Politikjournalismus auf den Wissenschaftsjournalimus gebraucht worden seien. Das hat zur Folge, dass das Abwägen von Pro und Kontra zu einem Thema plötzlich auch bei wissenschaftlichen Themen angewendet wurde. Hierbei wurde Interpretationsspielraum genutzt, der in der faktenbasierten Wissenschaft eigentlich gar nicht vorhanden ist. Auch Corinna Hennig, die den Podcast “Coronavirus-Update” leitet, kritisiert , dass Journalist:innen aller Fachrichtung begonnen hätten, über das Coronavirus zu berichten, “ohne das spezielle Handwerkszeug” zu haben, dass “für Wissenschaftsthemen wichtig sei”, so “Das MedienMagazin”. Den Wissenschaftsjournalismus in der Pandemie beschreibt Annette Leßmöllmann in einem Artikel folgendermaßen: “Es ist eigentlich Gesundheitsjournalismus, “gewürzt” mit Krisen- und Risikojournalismus. Kennzeichen dieses Journalismus ist, dass er nicht nur informiert, sondern Entscheidungsgrundlagen legen kann oder Ratschläge erteilt”. Aus diesem Grund fordert sie die Stärkung des Wissenschaftsjournalismus auch außerhalb der Pandemie, durch welche der Bevölkerung, aber auch der Medien bewusst geworden ist, dass die Wissenschaft auf jeden Bereich des Lebens Einfluß hat und nicht nur auf die Gesundheit.
Wenn wir Annette Leßmöllmann folgen, gilt es also Samen für den Wissenschaftsjournalismus zu pflanzen, damit dieser gedeien kann und tiefer verwurzelt ist. So können wir darauf hoffen, in der nächsten Pandemie direkt zu wissen, wer für uns die wichtigen und richtigen Informationen bereit hält, damit wir und die Politik schneller wissen, worauf es ankommt.
Beitragsbild: Matt Chesin / unsplash.com
Am Samstagnachmittag war reger Betrieb in der Saarbrücker Innenstadt. Foto: Der Jungreporter / Francesco Zimmermann
Unsere Redakteurin Sophie blickt auf das “Saarland-Modell” und zieht ein persönliches Fazit über das Corona-Modell-Projekt.
18. April 2021
Am Samstagnachmittag war reger Betrieb in der Saarbrücker Innenstadt. Foto: Der Jungreporter / Francesco Zimmermann
Seit dem 6. April 21 gibt es unter dem Motto “Impfen – Testen – Öffnen“ das sogenannte “Saarland-Modell”. Die Strategie des Modells zum Umgang mit der Corona-Pandemie basiert auf kostenlosen Schnelltests für alle Saarländer:innen und einem Ampelsystem. Bei einem stabilem Infektionsgeschehen bei einer 7-Tage-Inzidenz von unter 100 ist die Ampel Grün. Mit tagesaktuellem Schnelltest darf man wieder Kontaktsport im Außenbereich und kontaktfreien Sport im Innenbereich treiben, außerdem dürfen Theater, Konzerthäuser, Opernhäuser und Kinos öffnen. Man darf die Außengastronomie ohne Schnelltest mit bis zu fünf Personen aus maximal zwei Haushalten besuchen und mit negativem tagesaktuellem Schnelltest mit bis zu 10 Personen aus 10 Haushalten.
Heute, am 18. April 2021, ist die Ampel bereits seit einigen Tagen auf Gelb. Die 7-Tage-Inzidenz des Saarlandes liegt seit dem 9. April über 100 und liegt heute bei 125,6.  Das Schalten der Ampel auf gelb hat zur Folge, dass die Testpflicht auch auf den Einzelhandel und körpernahe Dienstleistungen ausgeweitet wurde. Sobald eine Auslastung der Intensivstationen droht, springt die Ampel auf rot und es wird ein „konsequenter Lockdown“ verhängt, so der Drei-Stufen-Plan der Landesregierung. Es gibt keinen festen Leitfaden, wann genau die Ampel auf Rot springen soll. Der Ministerrat des Saarlandes hat am vergangenen Samstag die Beibehaltung der Ampel auf Gelb beschlossen und zugleich die Testbedingungen verschärft. Demnach muss nun jeder in der Außengastronomie einen negativen Schnelltest vorweisen können.
"Es muss uns nach einem Jahr Pandemie mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken" - Saarländischer Ministerpräsident Tobias Hans (CDU)
Bundesweit wurde das Saarland-Modell mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Kritiker warnten vor schnell steigenden Infektionszahlen und sahen das Saarlandmodell als Gegenmodell zu einer bundeseinheitlichen Corona-Strategie. Aufgrund der Grenznähe und Gefahren durch Mutationen wurden dem Saarland zusätzliche Impfdosen geliefert. Karl Lauterbach kritisiert die Öffnungsschritte, denn er hätte sich vom Saarland gewünscht, genau diesen Impfvorsprung zu nutzen und „dementsprechend vorsichtig“ zu handeln.
Ich, ein junge Studentin, die sich so gut wie an alle Corona-Auflagen gehalten hat, habe mich auf das Saarland-Modell gefreut. Endlich nicht mehr nur spazieren, endlich wieder „relativ“ sorgenfrei eine Gruppe von Freunden treffen und die Großeltern besuchen. Warum relativ? Die Schnelltests sind nicht so zuverlässig wie im Labor ausgewertete PCR-Tests. Sie liefern keine hundertprozentige Garantie, dass eine negativ getestete Person auch wirklich nicht infiziert ist. Aber ich bin der Meinung, ein negativer Schnelltest ist besser als keiner.
Der Lockdown in Deutschland ist seit Mitte Dezember „hart“, aber schon in den sechs Wochen des „Lockdown-Light“ habe ich relativ zurückgezogen gelebt und sogar am letzten Wochenende vor den Schließungen von „allem was Spaß macht“, eine Einladung auf eine Geburtstagsfeier in einer Kneipe abgesagt. Aus Angst und aus Pflichtbewusstsein. Ein Dank geht hiermit an alle, die sich auch an die Corona-Auflagen gehalten haben und mit deren Hilfe es möglich war, die 7-Tage-Inzidenz im Saarland auf 56,05 am 19. Februar 2021 zu senken.
Ich kenne einige Leute, junge und ältere, die sich trotz der Lockerungen und Testmöglichkeiten und steigender Impfrate, nicht heraus trauen, um Teil des Saarland-Modells zu sein. Ich kann alle gesundheitlichen Bedenken meiner Mitmenschen verstehen und respektiere sie. Doch für mich war klar, dass ich auch trotz seit vor Ostern steigender Infektionszahlen das Saarland-Modell ausnutzen will, um nochmal etwas anderes zu sehen und zu erleben.
Direkt zum Start des Modells war das Wetter leider sehr kalt und nass. Keine guten Bedingungen für die Außengastronomie. Am ersten Modell-Wochenende hat das Wetter dann aber doch mitgespielt und ich konnte mit fünf weiteren Freunden in der Innenstadt die Außengastronomie testen. Der Tag war geprägt von guten, aber auch schlechten Erfahrungen. Ich beginne mit den Guten: Ich konnte problemlos für sechs Personen einen Tisch für den Abend reservieren und hatte mit Freunden eine schöne Zeit an der frischen Luft vor einer Cocktailbar in einer Seitenstraße.
Auf dem St. Johanner Markt in Saarbrücken habe ich allerdings schlechte Erfahrungen gemacht. Es handelt sich dabei um jenen Markt, auf dem am 17. April 400 bis 500 Feierwütige die Kontrolle über sich selbst und ihr Gewissen verloren zu haben scheinen. In der Außengastronomie am St. Johanner Markt kam man schon am 9. April mit Reservierungen nicht weit. Es galt das Motto: First come, first served. Die Tische waren alle besetzt und drum herum geierten viele Leute darauf, dass endlich ein Tisch frei wird und man sich setzen konnte. Ich kann die Menschen verstehen, die dieses Warten, Ausschau halten, Passanten ausweichen und dann doch keinen Platz finden, in Kauf nehmen, um die Chance zu haben, doch mal wieder auswärts zu essen oder Einen zu trinken. Was ich allerdings nicht verstehen kann, ist, dass diese Menschen keine Maske tragen, obwohl auf diesem Markt seit mindestens Dezember Maskenpflicht gilt. Noch weniger kann ich verstehen, dass diese Maskenpflicht, die zu Beginn noch mit Aktionstagen durchgesetzt wurde, jetzt nichtig scheint und von der Polizei nicht durchgesetzt wird. Ich habe an diesem Tag mehrere Streifenwagen gesehen, die auf dem St. Johanner Markt standen, die Lage beobachtet haben, es aber anscheinend nicht für notwenig hielten, die Vielleicht-Außengastronomie-Besucher und die Passanten an ihre Pflichten in der Pandemie zu erinnern.
Jetzt ist es eine Woche später. Gestern war ich wieder in der Außengastronomie, diesmal mittags und diesmal wirklich auf dem St. Johanner Markt. Zu meiner Überraschung konnte ich einen Tisch für zwei Personen im Vorfeld reservieren und nach Vorzeigen meines negativen Tests auch mit Abstand zu anderen Gästen meine Bestellung genießen. Im weiteren Verlauf habe ich verschiedene Geschäfte in der Bahnhofstraße, die Einkaufsmeile von Saarbrücken, besucht. Nach einiger Wartezeit in jedem Geschäft habe ich meinen Test vorgezeigt und konnte dann entspannt shoppen. Gegen 19:00 Uhr habe ich die Innenstadt verlassen. Die Anzahl der Polizeiautos war an diesem Tag auffällig.
Diese hohe Polizei-Präsenz ist einer der Gründe, warum ich nicht nachvollziehen kann, was am Samstagabend am St. Johanner Markt passiert ist. Um kurz vor 14 Uhr am heutigen Sonntag habe ich eine Nachricht von einer Freundin aus Bonn erhalten: „Was muss ich hier über die Saarbrücker lesen ?!“. Die Nachricht klingt empört– zu Recht! Kurz danach öffne ich Instagram und sehe ein Video, aufgenommen nur wenige Meter von dem Platz entfernt, an dem ich mittags gespeist habe. In dem Video sind viele Menschen, die auf dem St. Johanner Markt sehen, dicht an dicht, mit Getränken in der Hand. Der Clip trägt die Aufschrift: „Saarland lebt wieder😍😍“ und der Repostende ergänzt, wieder zu Recht: „Wie kann das sein?! 😡😡“
Ich frage mich auch, wie kann das sein? Ich sehe größtenteils junge Menschen in dem Video, nur zwei von ihnen mit Maske. Wie kann das sein, dass ihr merklich viel zu dicht beieinander seid oder doch viel zu dicht, um es zu merken? Wie kann es ein, dass man Glück haben muss, um im Saarland-Modell eine Außengastronomie zu finden, die Reservierungen annimmt und wie kann es sein, dass Polizeiwägen in Zonen mit Maskenpflicht umgeben sind von Menschen, deren Nase man sehen kann? Wie kann das Saarland-Modell auf Funktionalität geprüft werden, wenn die Spielregeln nicht eingehalten werden? Genau, es geht nicht!
Es darf nicht sein, dass die Politik den kleinen Finger reicht und die ganze Hand genommen wird. Jetzt habe ich die Befürchtung, dass ich wegen dieser Feierwütigen nächsten Freitag nicht wieder ganz gesittet ausgehen darf. Dass wieder die Museen, das Theater, die Sportvereine, die Kinos, das Minigolf und was nicht noch alles unter der Inkonsequenz und dem Pflichtunbewusstsein leiden müssen. Ich will auch nur, dass es vorüber geht, aber solche Aktionen bewirken das Gegenteil.
Leider ist wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit bis die Ampel auf Rot geschaltet wird und ein neuer Lockdown beginnt.
P.S.: Ein mit Folie umhüllter Wintergarten mit einer kleinen “pro forma” Öffnung zum Lüften ist keine Außengastronomie!

Freiwillige der Law Clinic Bild: RLC Saarbrücken
“Für jene, deren Rechte bedroht sind.” – Die Refugee Law Clinics
Die Refugee Law Clinics in Deutschland und auf der Welt arbeiten hart, um Geflüchteten bei Rechtsfragen Antworten zu bieten. Die Einrichtungen werden ehrenamtlich betrieben.
26. Februar 2021
„Für jene, deren Rechte bedroht sind. Bei denen es dem Rechtsstaat oftmals zu bequem erscheint, genau hinzusehen“, so steht es im Leitbild der Refugee Law Clinics Deutschland, kurz RLC. Die RLCs bestehen hauptsächlich aus Jura-Studierenden, aber auch anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern, die „morgens früher aufstehen und abends später zu Bett gehen“, um dort zu helfen, wo der Rechtsstaat manchmal eine Sehschwäche hat. Der Dachverband der Refugee Law Clinics in Deutschland zählt 35 Standorte (Stand Januar 2021), darunter auch ein Verein in Saarbrücken. Im Interview mit Hagen Wagner und Moritz Schneider, Mitglieder der örtlichen Refugee Law Clinic, hat Der Jungreporter erfahren, wie eine solche Rechtsberatung abläuft.
Unterstützt und beworben wird diese Refugee Law Clinic vom örtlichen Deutsch-Ausländischen-Jugendclub (DAJC), der die Terminorganisation übernimmt und die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt.  Der Jugendclub hat in der Regel den ersten Kontakt zu den Geflüchteten und leitet sie dann an die RLC weiter. Zweimal pro Monat können Geflüchtete dann ihre Anliegen und Fragen in den offenen Beratungssprechstunden stellen. Um Sprachbarrieren zu überwinden, ist auch ein Deutsch-Arabisch-Dolmetscher vor Ort. In der Regel befinden sich die Beratungssuchenden in Saarbrücken nicht mehr im Asylverfahren, sondern haben schon einen Schutzstatus erhalten. Dementsprechend beziehen sich ihre Fragen oft auf den Familiennachzug und die Möglichkeit der Verbesserung des Aufenthaltsstatus. Neben reinem Informieren und Beraten, helfen die Berater*innen auch dabei, Anträge auszufüllen und Anschreiben zu formulieren. „Und dann gibt es noch Fälle von Leuten, die im Asylverfahren keinen Aufenthaltstitel bekommen haben und sich danach erkundigen, welche anderen Möglichkeiten ihnen offenstehen, denn es gibt ja außerhalb des Asylverfahrens auch Wege, wie man einen Aufenthaltstitel bekommen kann“, ergänzt Moritz Schneider. Einer dieser Titel ist beispielsweise ein Studienvisum. 

Das Prinzip der Law Clinics
Die Law Clinics, früher Legal Clinics, stammen aus den USA. Dort haben sie eine lange Tradition. Sie bieten kostenfreie Rechtsberatung für Student*innen, die sich keine reguläre Rechtsberatung in Form eines Anwalts oder einer Anwältin leisten können. Jurist*innen werden in den USA an sogenannten Law Schools angeboten und an diesen entwickelten sich dann schon Ende des 19. Jahrhunderts Legal Clinics. Die ersten Law Clinics gab es für das strafrechtliche Angelegenheiten, nach und nach kamen andere Rechtsgebiete hinzu. Die erste Law Clinic in Deutschland wurde 2007 an der Justus-Liebig-Universität in Gießen gegründet, sie ist eine auch eine Refugee Law Clinic.


Der Jungreporter hat ebenfalls die Vorsitzenden der Refugee Law Clinics Deutschland Antonja Keshmiri und Carolin Dierker im Interview getroffen. Antonja Keshmiri hat 2016 mit „Refugee Law Clinics abroad“ auf der griechischen Insel Chios in einem Flüchtlingscamp gearbeitet. In ihren Augen unterscheiden sich die Fragen, die heute in Deutschland gestellt werden, deutlich von den Fragen in Griechenland 2016.  Sie sagt: "Die Fragen heute, zielen darauf ab, mehr in Deutschland zu zetteln“, also Fuß zu fassen und etwas zu erreichen. In Griechenland hieß die Frage eher «Wie komme ich von hier Weg?», denn das Camp ist keine aushaltbare Situation, noch nicht einmal für einen Tag."
Die Beratungen in der Stadt sind meistens kurzfristig und schon nach einem Termin erledigt, was zur Folge hat, dass sich die Interaktion zwischen Berater*innen und den Hilfesuchenden oft auf ein einziges Treffen begrenzen. Es ist „unterm Strich vielleicht ein gutes Zeichen“, dass die Berater*innen häufig keinen Kontakt mehr zu den Migrant*innen haben und „heißt, dass der Antrag angenommen wurde“, so Moritz Schneider.  Trotzdem wünscht er sich, öfter zu erfahren, wie die Fälle ausgehen, denn oft handelt es sich um lebensverändernde Entscheidungen. 
Manche Fälle erfordern aber auch eine längere Betreuung und vor allem Recherche. Alle Refugee Law Clinics unterliegen der Supervision, die überall etwas anders ausgeführt wird, aber in jeder RLC die Qualität der Beratung absichert. In Saarbrücken wird die Qualität der Beratung durch eine Ausbildung sichergestellt. Wenn man Berater*in werden möchte, muss man eine Vorlesungsreihe zum Thema „Asyl- und Ausländerrecht“ besuchen und im Anschluss Hospitationen und Praktika absolvieren. Diese Ausbildung bereitet die zukünftigen Berater*innen auf die Arbeit in einer RLC vor. Trotz allem gibt es Fragen, die auch ausgebildete Berater*innen nicht aus dem Stehgreif beantworten können. In diesem Fall haben die Berater*innen die Möglichkeit, Anwält*innen oder universitäre Jurist*innen, zu kontaktieren und sich über die entsprechende Gesetzeslage zu informieren.  Die Supervision trägt maßgeblich zur Qualitätssicherung in den einzelnen RLCs bei und sorgt auch dafür, dass die Arbeit in den RLCs überhaupt legal ist.

Rechtliche Grundlagen
Rechtsdienstleistungsgesetz: Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG) regelt den Rahmen und die Voraussetzungen für außergerichtliche Rechtsdienstleistungen. In erster Linie soll das Gesetz Menschen vor falscher Beratung schützen. 
§ 6 Unentgeltliche Rechtsdienstleistungen erlaubt die Rechtsberatung, wie sie in einer RLC geleistet wird, insofern die Berater*innen durch ausgebildete Volljuristen ebenfalls aus- und weiter gebildet und im Einzelfall auch unterstützt werden. 



Neben der Supervision zählt im Dachverband auch die Vernetzung der einzelnen Standorte und die Zusammenarbeit mit den Universitäten, Behörden, der Anwaltschaft und karitativen Organisationen. Um die Vernetzung der RLCs auszubauen, wurde das durch die UNO Flüchtlingshilfe geförderte Projekt „RLC Mastermind“ gestartet. Durch „RLC-Mastermind“ können sich Mitglieder einer RLC, die für ein Aufgabenfeld, wie zum Beispiel Social Media zuständig sind, deutschlandweit austauschen und voneinander profitieren. Für spezielle Rechtsfragen bedarf es laut Antonja Keshmiri hingegen keines bundesweiten Projekts, denn „Das machen die Law Clinics untereinander selbst“, auch weil in manchen Fällen die Rechtslage von Bundesland zu Bundesland variiert. 
Im Jahr 2007 wurde die erste Refugee Law Clinic in Deutschland gegründet, seitdem  vergrößerte sich ihre Anzahl, so dass 14 Jahre später nur noch ein Bundesland, nämlich Bremen, ohne RLC auskommen muss. Carolin Dierker schätzt, dass jede der RLCs in Deutschland 100-400 Mitglieder*innen hat und mit 500 Mitglieder*innen ist die RLC Köln die Größte in Deutschland. 
“Der Jungreporter”-Redakteurin Sophie Jung im Gespräch mit Refugee Law Clinics Deutschland
Seit 2016 geht die Anzahl der Erstanträge auf Asyl in Deutschland zurück, von damals 722.370 auf heute 120.581. Heute hat eine andere als die sogenannte „Flüchtlingskrise“, Deutschland fest im Griff. Warum also ist die Arbeit in den RLCs dann noch wichtig? Darauf gibt es verschiedene Antworten. Eine davon liegt im Grundsatz der Einzelfallbetrachtung, den es in Deutschland gibt und bedeutet, dass jeder Antrag unabhängig von anderen, vielleicht auch ähnlichen Fällen betrachtet und beurteilt werden muss. Antonja Keshmiri erklärt: „Man darf beispielsweise nicht davon ausgehen, dass Geflüchtete aus Afghanistan sowieso kein Recht auf Asyl haben, weil es in dem Land doch gar nicht so unsicher ist und deshalb schaue ich mir die Geschichte nicht so individuell an“. Sie macht die Beobachtung, dass bei manchen Fällen „Parallelen gezogen werden, weil Eckdaten ähnlich sind, die dann dazu führen, dass der Grundsatz der Einzelfallbetrachtung herunterfällt. Denn auch Menschen, die vielleicht aus vermeintlich sicheren Staaten kommen, haben unter gewissen Bedingungen das Recht in Deutschland zu bleiben, wenn die eigene Sicherheit, das eigene Leben in Gefahr ist“. Durch die Pauschalisierung nach Herkunftsländern kann es dazu kommen, dass nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt eines Verfahrens steht. Diesen Kritikpunkt haben die Refugee Law Clinics Deutschland in ihr Leitbild aufgenommen und versuchen mit ihren Mittel für mehr Gerechtigkeit zu sorgen. 

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